VR_Brille in Altenpflege

Wie die VR-Brille in der Altenpflege eingesetzt werden kann, zeigt ein Praxisbeispiel aus Braunschweig.

Alfons H. sitzt oft allein in seinem Zimmer. Im AWO-Wohn- und Pflegeheim in Braunschweig-Querum gehört der zurückhaltende Rentner zu denen, die wenig Kontakt zu den anderen Bewohnerinnen und Bewohnern suchen. Doch das ändert sich gerade. Denn der 75-Jährige hat etwas Neues entdeckt: Seit einigen Wochen gibt es im Haus die Möglichkeit, eine Virtual-Reality-Brille (VR-Brille ) auszuprobieren. Wer sie aufsetzt, geht auf Reisen. Das spornt den technikaffinen Bewohner an.

Mit der VR-Brille nach Venedig oder in die Alpen

Über 200 virtuelle Reisen führen die Seniorinnen und Senioren nach Venedig oder in die Alpen. Wer will, kann auch die 300 Stufen zur Kuppel von Sacré-Coeur erklimmen und von oben einen atemberaubenden Blick über Paris genießen. Die Filme sind etwa zehn Minuten lang und sollen Menschen das Reisen ermöglichen, die es sonst nicht mehr schaffen“, sagt Einrichtungsleiterin Katja-Maria Staroste.

Das Besondere: Über die VR-Brille tauchen die Reisenden tief in die Filme ein. Eine Fahrt mit der Schweizer Bergbahn wird so hautnah erlebbar, als würden die virtuellen Reisenden selbst im Zug sitzen und aus dem Fenster schauen. Esther Wittmaier vom Sozialdienst des Hauses sagt: „Es ist faszinierend, wie realistisch die Videos sind – alles wirkt sehr echt. Als säße man selbst in einer Gondel in Venedig.“

Geistige und körperliche Erfahrung

Eine solche Gondelfahrt unternahm auch Alfons H., der in seinem Leben noch nie verreist ist. „Diese Erfahrung kann er nun in der virtuellen Welt nachholen“, erklärt Staroste, die auch demenzkranke Bewohnerinnen und Bewohner in das VR-Projekt einbezogen hat. „Anfangs hatten wir Bedenken, dass wir die Menschen überfordern und sie nach einem Ausflug nur schwer wieder in die reale Welt zurückfinden“, schildert sie. Doch nichts davon hat sich bewahrheitet“, resümiert Wittmaier.

Im Gegenteil: Die rund 30 Heimbewohner, die im Rahmen des auf sechs Monate angelegten Projekts auf Reisen gingen, waren geistig erstaunlich schnell wieder da. Und dass, obwohl sie sogar körperlich aktiv waren, sich etwa beim Strandspaziergang nach Muscheln bückten. Eine Bewohnerin prüfte nach der Reise sogar lachend, ob ihre Kleidung noch trocken war. Sie hatte einen virtuellen Tauchgang gemacht und war über ein Korallenriff „geschnorchelt“.

Kleingruppen reisen mit VR-Brille

„Gedanken auf Reisen“ ist ein VR-Projekt, das von der Techniker Krankenkasse unterstützt wird. Sabrina Jacob beschreibt den Ansatz. „Neben der Erinnerungsarbeit ist vor allem die soziale Interaktion wichtig“, sagt die Leiterin der TK-Landesvertretung Niedersachsen.

Die Videos werden in kleinen Gruppen angeschaut. Meist sitzen vier bis acht Bewohner zusammen und erleben ihre Reise gemeinsam. Begleitet werden sie von Mitarbeitenden der sozialen Betreuung. Sie übernehmen das technische Handling und geben Tipps, wie sich die Bewohnerinnen und Bewohner in der virtuellen Welt bewegen können. Anschließend regen sie zum Austausch an. Die Senioren sollen miteinander über das Erlebte sprechen.

Biografie kennen

Dabei ist es wichtig, die Biografie der Reisenden im Vorfeld zu kennen, um gegebenenfalls einen passenden Ausflug auswählen zu können. „Wenn wir wissen, dass jemand früher gerne in den Bergen oder am Meer war, schlagen wir entsprechende Filme vor“, erklärt Wittmaier.

Fast immer enden die Reisen mit viel Spaß. Egal, ob bestimmte Trips wiederholt werden – oder ob es sich, wie bei Alfons H., um erste Entdeckungsreisen handelt, am Ende fließen manchmal Freudentränen, wie Staroste berichtet. „Die VR-Brillen sind echte Gefühlsmaschinen“, sagt sie.

Für Alfons H. war das Projekt ein Türöffner. Inzwischen nimmt er an weiteren Aktivierungsprogrammen teil. Vor allem die Zeitungsrunde hat es ihm angetan. Er möchte mehr über ferne Länder erfahren.

Leave a Reply