Wie Einsamkeit systematisch bekämpft werden kann
Wenn Angehörige oder Partner zum Pflegefall werden, ist es häufig vorbei mit der Bewegungsfreiheit. Die Pflege ist zeitintensiv, kostet nerven und soziale Kontakte werden rar. So isolieren sich Pflegende von der Außenwelt. Hierzu ein paar Tipps, wie Sie der Einsamkeit entgehen.
„Viele pflegende Angehörige kennen das“, sagt Susanne Hallermann vom Verein Armut durch Pflege. Der Weg dahin verlaufe oft schleichend. Anfangs ist der Freundeskreis noch da. Dann wird die Pflege aufwendiger. Das Familienmitglied kann nicht mehr allein bleiben. „Ein Kinoabend wird schnell zur logistischen Herausforderung“, weiß Frank Schumann, Projektleiter der Fachstelle für pflegende Angehörige des diakonischen Werks Berlin-Mitte.
Freizeit für Angehörige fest einplanen
Er empfiehlt Pflegenden sich von Anfang an, Zeit für sich selbst zu nehmen. „Planen Sie freie Perioden ähnlich wie auf einem Stundenplan fest ein“, schlägt Schumann vor. Vielleicht kümmert sich der Sohn zwei Nachmittage pro Woche um seinen Vater – oder die Nichte springt ein. Schumann: „Ist das nicht möglich, informieren Sie sich über professionelle Hilfe.“
Hilfe im professionellem Umfeld suchen
Etwa bei Pflegestützpunkten oder anderen Beratungsstellen. Schon ein bis zwei Mal wöchentliche Tagespflege entlaste enorm, gibt Hallermann ein Beispiel. Und: „Sie haben Anspruch auf Verhinderungspflege und zwar nicht nur wenn Sie krank sind oder in den Urlaub fahren.“ Auch ein stundenweiser Einsatz ist möglich. Nicht nur frische Pflegende können sich beraten lassen. Wer das Gefühl hat nicht wegzukönnen, auch nicht für ein kurzes Gespräch, darf die Berater laut Schumann auch nach Hause bestellen. „Das gehört zu deren Job“, so der Fachmann.
Online-Gruppen nehmen Scham
Vielen Angehörigen hilft der Kontakt zu Gleichgesinnten. „Das Internet ist eine Riesennummer“, weiß Hallermann. In einer Facebook-Gruppe tauschen sich tausende Menschen aus ganz Deutschland über ihre Pflegeerfahrung aus. Es falle leichter Gefühle zunächst anonymisiert mit anderen Betroffenen zu teilen. Vor allem aber liege der Vorteil gegenüber anderen Angebote in der zeitlichen Flexibilität. „Selbsthilfegruppen etwa treffen sich an fixen Terminen. Wenn ich Montagnachmittag nicht weg kann, kann ich nicht teilnehmen“, erklärt die Hamburgerin. „Im Internet kann ich mich auch nachts um vier noch beteiligen.“ Schumann plädiert ebenso dafür die Online-Vernetzung pflegender Angehöriger weiter auszubauen. Denkbar seien auch Gesprächsrunden via Skype.
Offenheit im Freundeskreis
Und der frühere Freundeskreis? „Das Problem ist, dass Pflege immer noch kein Stammtisch-Thema ist“, erklärt Schumann. Niemand rede darüber, wie er sich selbst das Alter vorstelle. Manche haben gar Angst und meiden das Thema. Trotzdem rät er Pflegenden zur Offenheit. „Wir befinden uns in einem Teufelskreis, den wir durchbrechen müssen“, untermauert er. Der pflegende Angehörige sei fokussiert auf die Pflege, verliere sich selbst aus dem Blick, spüre „mir geht’s nicht gut“, traue sich aber nicht darüber zu sprechen. Nach und nach entstehe so das „Alle haben mich verlassen“-Empfinden. Auch wenn es schwer falle, wer über seine Belastungen spricht, profitiert.
Wer helfen will muss teilnehmen
Oft herrsche auch auf Seiten des Bekanntenkreises Verunsicherung. Will mein Kumpel auf die Pflege angesprochen werden oder hängt ihm das schon zum Hals raus? Nerven ihn meine Anrufe? Soll ich tun als ob nichts wäre? Schumanns Rat: „Klammern Sie die Pflegesituation Ihres Freundes niemals aus.“ Denn dann stehe dieser zwischen den Stühlen. Stattdessen lieber offensiv das Gespräch suchen. Fragen: Wie geht es dir mit deiner Mutter? Oder vorschlagen: Ich kann auch vorbeikommen, wenn du nicht weg kannst. Schumann: „Machen Sie deutlich: Das ist ein Teil deines Lebens, an dem ich teilnehmen will.“
Zur Info: Woche der pflegenden Angehörigen
Um den Isolations-Teufelskreis zu durchbrechen, organisiert die Fachstelle jedes Jahr die Woche der pflegenden mit rund 1500 Angehörigen in Berlin. Auf dem Programm stehen kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte oder Theaterabende, die Preisverleihung von zehn Pflegebären – Schmuckstücken, die pflegende Angehörige für ihre Leistungen auszeichnen und vor allem die Möglichkeit andere Betroffene kennenzulernen. Für das Wohl der Lieben Zuhause sorgt indes die Fachstelle. Sie organisiert Vertretungen ohne Bürokratie-Krieg sodass jeder teilnehmen kann, der möchte. Das Ziel der sieben Tage: Den Angehörigen unbeschwerte Stunden zu schenken und sie untereinander zu vernetzen. „Wir wollen zeigen: Wir haben euch nicht vergessen“, sagt Schumann. Außerdem will die Fachstelle das Engagement der Zuhause Pflegenden öffentlich sichtbar machen.
Pingback: Demenz – Was ist das eigentlich? - pflege-today.de