Wie sich das Pflegesystem vom Deutschen unterscheidet
Verschiedene Gesundheitssysteme, andere Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen – Pflege unterscheidet sich auf der ganzen Welt. Interessant ist dabei der Vergleich des deutschen Pflegesystems und das seiner skandinavischen Nachbarländer: Schweden & Co. gelten als Vorbilder in der Pflege, während die Pflegesituation in Deutschland eher negative Schlagzeilen liefert. Worin sich die Systeme unterscheiden und welche Auswirkungen das haben kann, zeigt sich im Folgenden.
Grundlegend verschiedene Gesundheitssysteme
Das Gesundheitssystem der skandinavischen Länder baut auf dem Beveridge-Modell auf. Dieses zeichnet sich durch sein System zur sozialen Sicherheit aus, was kurz gesagt bedeutet: Skandinavier verfügen über eine Vollversicherungen, wobei ein bestimmter Satz an finanzieller Selbstbeteiligung geleistet wird. Ansonsten ist das gesamte System über Steuern finanziert und vom Staat gelenkt. Ein großer Vorteil des Modells zeigt sich darin, dass durch die Steuern alle Einwohner des Landes zum Gesundheitssystem beitragen und sich jeder auf eine gesicherte Versorgung verlassen kann. Skandinavien hat also ein System für den Bürger.
Deutschland hingegen nutzt das Bismarck-Modell, in dem finanzielle Gewinne ein maßgebliches Ziel darstellen. Das führt dazu, dass laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung im Schnitt 13 Pflegebedürftige von einer Fachkraft betreut werden müssen. Kosten werden am Personal gespart. Zum Vergleich: Im skandinavische Nachbarland Schweden kommen knapp sieben zu Betreuende auf eine Pflegefachkraft. Doch auch das deutsche, finanziell orientierte Gesundheitssystem hat ein Trumpf im Ärmel: Es gibt eine Vielzahl an Medikamenten, alternativen Heilmethoden und Therapieformen. Ein Vorteil, wenn nicht alleinig der Staat das Gesundheitssystem steuert, sondern auch Privatinvestoren mitspielen.
Arbeitsbedingungen- und Belastung
Unterbezahlung, Überstunden, Pflegenotstand. Dass diese Begriffe den Pflegeberuf in Deutschland seit Jahrzehnten prägen, ist kein Geheimnis. In Skandinavien dagegen scheint der Beruf attraktiver gestaltet zu sein. Das zeigt sich an Zahlen: Während in Deutschland rund acht von 1000 Einwohnern den Weg in die Pflege wagen, kann Norwegen knapp das Doppelte an Pflegefachkräften vorweisen.
Je mehr Pflegebedürftige gleichzeitig betreut werden müssen, desto schlechter die Arbeitsbedingungen für die Fachkräfte. Auch die niedrigen Löhne führen in Deutschland zum Personalmangel. Und darunter leidet zwangsläufig die Pflegequalität. Laut der Hans-Böckler-Stiftung ist aktuell eine Fachkräftelücke von mehr als 100.000 Vollzeitstellen zu schließen. Diese Zahlen erklären, warum den Pflegenden in Deutschland oft die Zeit für das Individuum hinter der Pflegeaufgabe fehlt.
Beim Blick in Richtung Nordeuropa hingegen kann Deutschland etwas lernen: Genügend Pflegende führen dazu, dass sich mit dem zu Betreuenden richtig auseinandergesetzt wird. Eine Fachkraft betreut dort zwischen vier und sieben Pflegebedürftigen gleichzeitig. So können beide Parteien im engen, ständigen Austausch miteinander stehen. Ein großes Plus für die Pflegequalität. Um das deutsche Pflegeniveau an die skandinavischen Standards anzupassen, benötigt es jedoch mehr als nur das Füllen der Fachkräftelücke. Gesundheitssystemforscher Michael Simon geht aktuell davon aus, dass 160.000 bis 260.000 Vollzeitkräfte zusätzlich nötig wären, um auf denselben Stand wie die nordischen Musterländer zu kommen.
Akademische Anforderungen und Wertschätzung
Lernstoff bietet auch das skandinavische Ausbildungssystem. Denn Norwegen & Co. legen viel Wert darauf, die Gesundheits- und Pflegeberufe hoch zu qualifizieren. Während dadurch das meiste Pflegepersonal eine akademische Bildung – von Bachelorstudiengängen, über Masterabschlüsse bis hin zur Habilitation – vorweisen kann, ist die Ausbildung in Deutschland akademisch weniger anspruchsvoll. Die betriebliche, dreijährige Ausbildung ab der Mittleren Reife scheint hierzulande immer noch der Standard zu sein. Ein Beispiel: Nur 0,34 Prozent der Pflegekräfte im ambulanten Pflegedienst haben einen Hochschulabschluss.
Das schwedische Studium zur Pflegefachkraft zieht sich zwar auch über drei Jahre, setzt aber das Abitur voraus. Außerdem ist es generalisiert – Kranken- und Altenpflege werden gleichzeitig erlernt – und erst nach dem Grundstudium folgen zusätzliche Spezialausbildungen. Durch die Akademisierung und die generalistische Ausbildung sind skandinavische Pflegekräfte mehr in Entscheidungsprozesse einbezogen, die bei uns Ärztinnen und Ärzten vorbehalten sind. So darf eine norwegische Fachkraft beispielsweise Medikamente verschreiben oder Kranke an Fachätzte und -ärztinnen überweisen. Das macht den Beruf attraktiver und garantiert zusätzlich eine hohe Pflegequalität.
Auch im Hinblick auf die Wertschätzung – egal ob finanziell oder menschlich – gibt es Unterschiede. Im Norden verdient das Pflegepersonal im Schnitt mehr als in deutschen Altenheimen und Krankenhäusern. Außerdem genießen die Fachkräfte einen hohen Status. Der Grund hierfür ist, neben der Akademisierung, dass Medizinerinnen und Mediziner in Skandinavien knapp und teuer sind. Pflegekräften wird dadurch nicht nur medizinisch mehr auferlegt. Zu Betreuende schätzen und vertrauen auch eher ihren Entscheidungen. Es findet in Skandinavien also eine Pflege auf Augenhöhe statt, während das soziale Ansehen des Berufs in Deutschland noch ein Upgrade brauchen könnte.