Immer noch sterben Menschen in Altenheimen einsam oder unter großen Schmerzen. Für Trauern ist im Alltag der Pflegekräfte kaum Zeit oder es wird als unprofessionell abgetan. Auch haben viele Fachkräfte in der Ausbildung kaum etwas über Sterbebegleitung gelernt. „Hinter dem Schweigen steckt oft die Angst, etwas falsch zu machen“, vermutet Nelleke Jakob (50). Die Leiterin des Projekts „Palliative Care“, das von der GlücksSpirale gefördert wird, arbeitet bei der Sozialservice-Gesellschaft (SSG), einer Tochtergesellschaft des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK). Sie beschäftigt sich mit dem Sterbeprozess und erklärt, was eine gute Begleitung ausmacht.
„Vielen Pflegekräften ist unklar, wann das Sterben beginnt“, sagt die Niederländerin. Auch in der Forschung wird darum gerungen, welcher Zeitraum der des Sterbens ist. „Für mich umfasst die Sterbebegleitung die letzten Wochen und Tage vor dem Tod“, erklärt Jakob. Die Anzeichen dafür sind eindeutig: Bewohner ziehen sich zurück. In Gesprächen redet er oder sie vermehrt über das Sterben. Typische Sätze sind „Jetzt könnte der liebe Gott mich zu sich lassen“ oder konkreter: „Für mich ist es jetzt Zeit zu gehen“. Ein klares Signal ist auch das Einstellen der Nahrungsaufnahme. „Wer nicht mehr isst, das Trinken verweigert und nur noch im Bett liegen will, macht sich auf den Weg“, hat die studierte Pflegfachkraft beobachtet.
Lebensqualität verbessern
Etwas anderes ist Palliative Care. Der Deutsche Hospiz- und Palliativ-Verband schreibt: Palliative Pflege verbessert die Lebensqualität von Patienten, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert sind, und deren Familien. Dies geschieht durch Vorbeugen und Lindern von Leiden, durch frühzeitiges Behandeln von Schmerzen sowie anderer Beschwerden körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art. Aus dieser Formulierung schließen Fachleute, dass Palliative Care einen längeren Zeitraum umfasst. „In den Niederlanden sprechen sie von einem Jahr vor dem Tod“, weiß Jakob. Somit fängt die palliative Versorgung eines Bewohners viel früher an als die Sterbebegleitung. „Ein wichtiges Indiz für diese Einstufung ist die Prognose des Kranken“, sagt Jakob. So zeigen Erfahrungswerte, dass bei Bauchspeicheldrüsenkrebs oder bestimmten Gehirntumoren die Lebenserwartung nur wenige Monate beträgt. Im Gegensatz zur Demenz. Daran Erkrankte können oft noch jahrelang leben.
Biographiearbeit
Um sich auf den Patienten einstellen zu können, sollte die Biographie des Bewohners dokumentiert sein. Wer wisse, was Herr Maier gerne isst, welche Musik Frau Schumann mit Vorliebe hört und welche Lieblingsdüfte sie benennt, könne das ganz leicht in die tägliche Pflegearbeit einfließen lassen, verdeutlicht Jakob. Zur Biographiearbeit gehöre auch zu wissen, welche Menschen der Bewohner um sich mag oder welche Tiere.
Im Seniorenwohnen in Hof in Bayern gibt es ein Lebensbuch, das auf dem Nachttisch liegt. Ähnlich einem Poesiealbum oder Tagebuch, in das Schüler ihre Lieblings-Stars oder -Farben eintragen, können An- und Zugehörigen hier Vorlieben des Bewohners aufschreiben. Gefragt wird etwa, ob ein Pfarrer oder Seelsorger gewünscht ist, welche Kleidung der Senior gerne trägt oder was seine Lieblingsspeise ist. „Je früher die Kollegen in der Pflege dies Details kennen, umso besser“, so Jakob. Damit nicht passiert, was in einem Haus in Hessen geschehen ist: Dort legte die Soziale Betreuung klassische Musik auf, der im Sterben liegende Bewohner wurde unruhig. Nachdem aus dem Abspielgerät Blasmusik erklang, beruhigte er sich wieder. „Können Bewohner ihre Wünsche und Vorlieben nicht mehr mitteilen, sollten Pflegekräfte die Familie oder Nachbarn fragen“, gibt Jakob einen Recherche-Tipp.
Symptom-Kontrolle
Dritter Aspekt einer palliativen Pflege ist die Symptom-Kontrolle. Oft kann der Hausarzt das Einstellen der Schmerzmittel übernehmen. Denn am Lebensende unter Schmerzen leiden muss heute niemand mehr. Das sei es ja auch, wovor viele Angst hätten. Starke Atemnot oder aggressive Übelkeit müssen nicht mehr sein. „Wenn wir die Schmerzen kontrollieren, sinkt der Wunsch nach Sterbehilfe“, bilanziert Jakob.
Unabhängig von der palliativen Pflege empfiehlt die Expertin eine Patientenverfügung inklusive Notfallplan auszufüllen. Und Menschen zu benennen, die den Inhalt kennen. Damit es genauso gemacht wird, wie der Patient es will – und nicht anders. Die Erfahrung zeigt zudem, dass es immer mal wieder Änderungswünsche gibt. Auch nach diesen sollte gefragt werden.
Haltung entscheidet
Schlussendlich ist die Haltung des Begleiters wichtig, damit Palliative Care klappt. „Tod ist wie Geburt – etwas ganz Normales“ bringt es Jakob auf den Punkt. Neben aller Trauer gehört das Sterben zum Leben dazu. Wer diese Haltung ausstrahlt, erleichtert es oft auch den Sterbenden, die selbst im Angesicht des Todes keinem zur Last fallen wollen, wie Jakob beobachtet hat.