Prof. Dr. phil. Dr. med. Dipl.-Psych. Rolf D. Hirsch ist Facharzt für Nervenheilkunde – Geriatrie – Psychotherapeutische Medizin – Psychoanalyse. Prof. Dr. Hirsch betreibt eine Privatpraxis in Bonn und hält sowohl Fachvorträge und Seminare. Weitere Infos unter www.hirsch-bonn.de.
Lesen Sie jetzt den 2. Teil des Interviews von CareTRIALOG zu den Themen „Humor in der Pflege“ und „Humor bei Demenz“:
Verändert sich Humor mit dem Älterwerden?
Prof. Dr. Hirsch: Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass eine gelassene Heiterkeit im Laufe des Lebens zunimmt. Das spüre ich auch immer wieder in meinen Therapien. Hier kann eine humorvolle Bemerkung meinerseits das Schamgefühl eines Patienten verringern – und plötzlich kommen schwierige Traumata zum Vorschein. Es ist immer wieder erstaunlich. Die Schamgrenze wird überschritten, man lacht miteinander, es folgt ein kurzes Innehalten, und plötzlich kommt eine bis dahin verborgene seelische Verletzung an die Oberfläche, welche ich dann selbstverständlich ernsthaft aufgreife. In der Therapie gehe ich immer wieder spielerisch mit Humor um. Klar ist auch, dass nur zu provozieren zu wenig ist. Vom Grundsatz her ist es immer ein empathisches Jonglieren unter Einbeziehung aller nonverbalen Kommunikationsreize (Gestik, Mimik).
Wir alle kennen den Ausspruch „Lachen ist die beste Medizin.“ In einem anderen deutschen Sprichwort heißt es: „Humor ist die Medizin, die am wenigsten kostet und am sichersten hilft.“ Kann Humor heilen – oder helfen zu heilen (physisch, seelisch)?
Prof. Dr. Hirsch: Vom Prinzip kann man auf jeden Fall sagen: Ja! Bei chronischen Schmerzpatienten wird dies sehr deutlich. Durch einen humorvollen Umgang, eine humorvolle Umgebung und eine eigene humorvollere Einstellung können Schmerzgrenzen deutlich gesenkt und damit Schmerzen verringert werden. Gleichzeitig gehen damit neurophysiologische und neuroendokrinologische Veränderungen einher (z. B. Ausschüttung von Glückshormonen, Oxytocinen o. ä.). Dann gibt es noch die große Gruppe der Menschen, die unter Angst, Stress oder Depressionen leiden. Auch hier kann Humor, am besten in Form von Rollenspielen, helfen, aus Kränkungen (die mit zunehmendem Lebensalter oft mehr werden) oder aus einem Missgeschick eine Stärke zu machen. Mit humorvollen Rollenspielen lernen die Patienten neue Formen, um mit negativ besetzten Dingen umzugehen und diese in etwas Positives umzuwandeln.
Wie steht es mit Humor bei Menschen mit Demenz? Kann man bei Erkrankten Humor fördern oder wachhalten?
Prof. Dr. Hirsch: Wunderbar sogar! Menschen mit Demenz haben einen ausgesprochenen Sinn für Humor und merken in einer kritischen Situation durchaus, dass da etwas nicht stimmt. In solchen Momenten ist es wichtig, dass Angehörige oder Pflegekräfte die Gestik, die Mimik und die Stimmungslage (heiter, lebendig, fröhlich) der Erkrankten erkennen und ggf. einfach mitlachen. Wesentlich ist, dass Angehörige und Pflegekräfte es unterlassen, den Erkrankten ständig darauf hinzuweisen, was er falsch gemacht hat, was er nicht mehr kann, was er nicht darf, … Die Kunst ist es, eine kritische Situation in eine unkritische Situation umzudrehen. Eine demenzkranke Frau, die im Herbst ein T-Shirt darüber einen BH anziehen möchte, hat vielleicht die Jahreszeiten verwechselt, und ein demenzkranker Herr, der zwei verschiedene Socken trägt, mag es vielleicht heute eben besonders farbenfroh. … Eine typische Situation, die mir eine Angehörige erzählte, war eine Feier zum 90sten Geburtstag ihres an Demenz erkrankten Vaters. Alle Gäste waren herausgeputzt, der Bürgermeister hielt eine Ansprache und dem Jubilar wurde mit der Zeit langweilig. Er fing an mit seinen Fingern in die Sahnetorte zu langen – wieder und wieder. Die Tochter war sichtlich geniert. Im Gespräch riet ich ihr, die Situation umzudrehen. Wie wäre es wohl, bei der nächsten Feierlichkeit eine Sahnetorte in die Mitte des Tisches zu stellen, ohne Teller, ohne Besteck. Und sollte der Vater bemerken, dass doch etwas fehlt, einfach mit den anderen Gästen die Torte mit den Händen zu essen. Können Sie sich das Happening vorstellen? Es gibt unzählige Geschichten. Ein älterer dementer Herr hat sich im Pflegeheim in einen Gang gelegt und möchte partout nicht mehr aufstehen. Oft wird versucht, die Person sofort wieder zum Aufstehen zu bewegen. Solche Situationen führen dann schnell zu Aggressionen oder Gewalt auf Seiten der Erkrankten. In diesem Fall aber holte der Pfleger zwei Tassen Kaffee und legte sich zu dem Mann. Sie tranken den Kaffee und standen danach beide einfach gemeinsam auf als wäre das das Normalste der Welt. Situationen nehmen wie sie sind, den Moment erkennen – und die Situation dann – wenn nötig oder sinnvoll – auch clownesk verändern. Ob mit oder ohne rote Nase, ich selbst muss allerdings davon überzeugt sein und die heikle Situation spielerisch lösen wollen. Meine eigene Gestik, Mimik und mein Inneres müssen stimmen, sonst funktioniert es nicht. Wenn ich mich bewusst in die Situation hineinbegebe, dann entschärfe ich sie damit, es wird gelacht oder geschmunzelt, die Aggressionen verschwinden. Das geht selbstverständlich nicht immer, aber ganz wichtig dabei ist, dass es die Umwelt und die Beteiligten nicht als „Verarschung“ erleben.
Was raten Sie den Angehörigen und Pfleger/innen, die sich nicht selten in belastenden oder auch leidvollen Situationen befinden, im Umgang mit den Erkrankten aber auch im Umgang mit sich selbst?
Prof. Dr. Hirsch: Besonders wichtig ist es, in Situationen, die irgendwie seltsam sind oder sich nicht gehören, nicht sofort zu reagieren. Einfach erstmal durchatmen und die Person genau anschauen und sehen, da ist vielleicht Angst, Unsicherheit, Wut oder sogar Verzweiflung mit im Spiel. Die Stimmung erkennen und aufgreifen und nicht sofort in Aktionismus hineinstolpern, das ist der Weg. Ein übereilter Aktionismus ist einer der größten Fehler in der Pflege – bei Angehörigen und auch bei Fachkräften. Stellen Sie sich vor, ein älterer Mensch hat sich eingekotet. Bei einem Kleinkind schickt sich keiner, sondern die Erwachsenen freuen sich und bringen dem Kind auf heitere Weise bei, sich in Zukunft anders zu verhalten. Dasselbe kann man bei einem alten Menschen auch machen. Statt zu sagen, der stinkt, der riecht, das ist eine Sauerei, kann man überlegen, die Situation umzudrehen. Die Situation ist ja immer noch so wie sie ist und hat sich nicht verändert. Ich kann ihr also mit Wut begegnen oder versuchen, sie auf heitere Weise zu lösen. Das lässt sich in Selbsthilfegruppen sehr gut trainieren – und in der Pflege in einzelnen Stationsgesprächen. Es ist wichtig zu überlegen, wie könnte man denn alternativ auf kritische Situationen reagieren und das dann miteinander üben. Es zeigt sich, dass während solcher Rollenspiele die Person, die einen Pflegebedürftigen oder Dementen spielt, sich am besten fühlt und die anderen Teilnehmer richtig auflaufen lassen kann. Das löst zwar erstmal nicht die Situation, aber es kommt zu einem sehr heiteren Effekt, der dazu führt, dass man im Ernstfall gelassener auf heikle Situationen reagieren kann – und dass, je mehr geübt wird, – leichter gemeinsam darüber geredet wird.
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