Handwerk ist Männersache – so zumindest trifft das auf das Weltbild vieler Pflegeheimbewohner zu. Sie gehören den Jahrgängen 1930/40 an, sind also heute älter als 80 Jahre, und haben früher oft einen handwerklichen Beruf ausgeübt. „Oder im Garten gearbeitet“, weiß Christina Kuhn, Geschäftsführerin und wissenschaftliche Leiterin des Demenz Support Stuttgart.
Hämmern, bohren, sägen …
… Rasen mähen oder einen Reifen flicken sind Tätigkeiten, die sie aus ihrem Leben kennen. Doch diese Lebenswirklichkeit finden Senioren in Pflegeheimen nur selten. Ein Grund dafür ist, dass der Männeranteil in Altenheimen lange Zeit gering war. „Noch vor 15 Jahren lebten dort 85 Prozent Frauen“, sagt Kuhn. Die soziale Betreuung orientierte sich deshalb vor allem daran, wie der Alltag der heute 85-Jährigen aussieht. Deshalb reichen die Angebote vom gemeinsamen Backen über Handarbeitsstunden bis zur Hilfe in der Hauswirtschaft. Denn Bügeln, Stricken und Kochen waren früher vor allem Frauensache.
Mit dem demografischen Wandel steigt jedoch der Anteil der Männer unter den Bewohnern von Pflegeeinrichtungen. Schätzungen gehen davon aus, dass heute jeder dritte Gast ein Mann ist. Damit wachse langsam auch das Aktivierungsangebot im Handwerk für die „alten Herren“ im Haus, beobachtet Kuhn. Die Expertin empfiehlt niedrigschwellige Angebote. So können die Bewohner den Haustechniker begleiten und ihm zur Hand gehen. „Wer einen Schraubenschlüssel reicht, wird vom Beobachter zum Akteur“, sagt Kuhn über diese Form der Aktivierung, der die Botschaft „Ich bin nützlich“ innewohnt.
Handwerk als vertraute Tätigkeit
Der Demenz Support Stuttgart hat dazu eine Broschüre herausgegeben: Praxishilfe Männer, so der treffende Titel. Die Autoren empfehlen, einen Blick auf die Biografie der Bewohner zu werfen, um daraus Angebote abzuleiten. So kann der Setzkasten für demenzkranke Männer zum Sortierkasten werden, in dem sie Schraubenzieher, Muttern und Unterlegscheiben nach Größe sortieren. Aber auch die Mithilfe beim Ölen von Türen, beim Hofkehren oder beim Schieben des Getränkewagens kann Männer ansprechen, weil sie diese Tätigkeiten noch aus jüngeren Jahren kennen. Der Umgang mit Metall, Holz oder Draht ist vertrauter als das Kneten von Plätzchenteig oder das Sortieren von Strickwolle.
Kuhn empfiehlt zur Vorbereitung im lokalen Netzwerk zu prüfen, ob und welche Vereine, Kindergärten oder andere soziale Einrichtungen in das Betreuungsangebot eingebunden werden können. Vor allem Kooperationen mit (Wald-)Kindergärten und Horten bieten sich an, um beispielsweise gemeinsam ein Insektenhotel zu zimmern. „Es geht darum, ohne Produktionsdruck etwas herzustellen“, sagt die wissenschaftliche Leiterin aus Stuttgart.
Forscherinstinkt aktivieren
Wem die Herstellung im Handwerk zu aufwendig erscheint – eine Fachkraft in der sozialen Betreuung ist in der Regel für 15 Personen zuständig und auch ein langsamer Produktionsprozess will geplant und organisiert sein – der kann auf den Forscherinstinkt setzen. Gut an kommt zuweilen, ein altes Kofferradio aufzuschrauben und sich dem Innenleben zu widmen. Wenn sich in der männlichen Biografie Berufe wie Elektriker, Elektroniker oder Fernmeldetechniker finden, bietet sich das an. Auch das Aufbauen und Fahren einer Modelleisenbahn wird in der Demenzbroschüre als geeignete Aktivierung für Männer genannt.
Wenn es aber doch ein handwerkliches Werkstück sein soll, rät Kuhn, Angehörige anzusprechen, damit sie gemeinsam mit ihren Ehemännern, Vätern, Opas oder Brüdern etwas herstellen: Einen Drachen für den Herbst basteln oder Holzrätschen für die Fans des örtlichen Handballvereins sind Ideen, die sich mit Hilfe von außen gut umsetzen lassen. Wer eine saisonale Aktivierung plant, kann in einem Apfelanbaugebiet beim Obstbauverein eine Mostpresse organisieren. Und sie von den Männern im Haus bedienen lassen. Und wenn einer im Berufsleben ein typischer Chef war, kann er mit am Tisch sitzen und über die sprachliche Ebene einbezogen werden: „Herr Meier, was meinen Sie, machen wir das hier richtig?“.
Schöngeist statt Handwerk
Richtig ist aber auch, dass längst nicht jeder Mann als Maurer, Zimmermann oder Automechaniker gearbeitet hat. Auch „Schöngeister“ wie Bühnenbildner, Musiker oder Herrenschneider finden sich unter den Bewohnern. „Da passt der Schraubenschlüssel weniger“, sagt Kuhn. Stattdessen hantieren diese Bewohner vielleicht lieber mit verschiedenen Stoffen und Garnen oder helfen engagiert beim Bau einer Maultrommel oder Tischharfe.