Die Corona-Pandemie bestätigt es: Pflegeberufe sind eine tragende Stütze der Gesellschaft – sei es in der Kranken- oder Altenpflege. Bisher waren sie jeweils eigene Ausbildungswege. Vor einem Jahr startete der Versuch, die Berufe in einem Bildungsweg, der „Generalistischen Ausbildung“, zu vereinen. Doch welche Erfahrungen haben Profis in dieser Zeit gesammelt? Pflegedienstleiterin Christine Bauer sowie Praxisanleiter Bernd-Dieter Stüve aus dem BRK-Seniorenwohnen Pasing-Westkreuz in München wagen erste Einschätzungen.
Aus drei wird eins
Seit Anfang 2020 sind Alten- und Krankenpflegegesetz im neuen Pflegeberufegesetz zusammengefasst. Angehende Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpfleger lernen seither nach einem Curriculum. Die Länge der Ausbildung von drei Jahren bleibt bestehen. „Zwei Jahre lang lernen Auszubildende abwechselnd im Krankenhaus und in Senioreneinrichtungen“, erklärt Bauer. Danach können sie sich vor dem dritten Lehrjahr für eine Vertiefung – entweder in der Altenpflege oder der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege – entscheiden; oder sie setzen die generalistische Ausbildung fort. Der Abschluss nennt sich Pflegefachfrau/mann. Das neue Pflegeberufegesetz wird nach fünf Jahren evaluiert. Der Gesetzgeber will es dann an gewonnene Erkenntnisse anpassen.
Vielfalt an Wissen und Chancen
„Die Pandemie hat uns im ersten Jahr neben der neuen Ausbildung herausgefordert“, schmunzelt Bauer. Sie kann im neuen Konzept viele Vorteile erkennen. „Die Lernenden durchlaufen verschiedene Bereiche und erhalten eine Vielfalt an Einblicken und Wissen. Das war früher so nicht möglich“, so die Pflegedienstleiterin. Dem stimmt Kollege Stüve zu. Laut des Ausbilders bekommen die Schülerinnen schon im Unterricht eine viel breitere theoretische Basis. „So kommt es zum interdisziplinären Austausch, der sich auf den Verlauf der Ausbildung positiv auswirkt“, beobachtet der Praxisanleiter.
Durch das vielseitige Wissen sind die Schüler flexibler als frühere Jahrgänge und damit in den sozialen Einrichtungen vielseitiger einsetzbar. „Die neue Ausbildungsform verbessert zudem ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt“, findet Bauer. Obendrein bieten die europaweit anerkannten Abschlüsse die Chance, im Ausland einen Job zu finden.
Andere Schwerpunkte
Noch steckt die generalistische Ausbildung in den Kinderschuhen. Dementsprechend sehen die Ausbilder Bauer und Stüve sowohl Vor- als auch Nachteile. „Durch die Eindrücke des zurückliegenden Jahres sind bei uns ein paar Sorgen aufgekommen“, reflektiert Bauer. So ist sie skeptisch, ob der Wissenstand der Lernenden in der Altenpflege am Ende der drei Jahre demselben entspricht wie zuvor. „Bei der ursprünglichen Ausbildung legten wir Wert auf das Lernen der Grundpflege, die Prophylaxen und das Kennenlernen von Lern- und Aktivierungsmöglichkeiten für die Bewohner,“ sagt Stüve. Heute müssten Ausbilder Lernstoff schneller abhandeln und früher komplexe Themen behandeln. Ebenso ergebe sich aus dem jetzigen Modell eine neue Aufgabe. Stüve muss verstärkt zwischen der eher funktionsorientierten Pflege der Krankenhäuser und der bezugs- und beziehungsorientierten Pflege der Altenheime übersetzen: Im Krankenhaus sei es essenziell, morgens bei Patienten Vitalzeichen für die Arztvisite zu kontrollieren. Im Altenheim sei es hingegen üblich, diese anlassbezogen und situativ zu überprüfen.
Altenheime als Verlierer?
Bauer befürchtet, dass die Altenpflege als Verlierer aus dem Konzept hervor gehen könnte: „So viele Vorteile das neue Modell hat, manche Schwerpunkte werden nicht abgedeckt.“ So wirke sich in Altenheimen Gerontopsychiatrie und soziale Betreuung essenziell auf die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner aus. Beides ist jedoch aus dem Modell der generalistischen Ausbildung herausgefallen. Denn sie sind unrelevant für die auf Akutpflege angelegte Krankenpflege. „Zusätzlich ist der Beruf Krankenpfleger im In- und Ausland tendenziell beliebter“, weiß die erfahrene Pflegedienstleiterin. Sie rechnet damit, dass rund die Hälfte der Azubis eher zur Krankenpflege tendiert. Den einzigen Pluspunkt, den die Altenpflege vorweisen könne: im Seniorenwohnen geht es, im Gegensatz zum Alltag im Krankenhaus, meist ruhiger und strukturierter zu.
Etwas anders bewertet das Modell Bernd-Dieter Stüve und berichtet, dass sich Schülerinnen aus dem Krankenhaus gerade von der emotionalen Nähe zu den Bewohnern im Altenheim angezogen fühlen. Viele schätzen die langfristige Pflege, bei der sie beobachten können, wie sich Seniorinnen verändern und entwickeln.
Positive Resonanz der Azubis
Trotz Unsicherheiten seitens der Ausbilder-Perspektive, gibt es von den Lernenden kaum negatives Feedback. Die Ausbildung sei durch die verschiedenen Pflegebereiche vielfältiger gestaltet, meint Stüve. Die Offenheit der Schüler führe zu neuen Sichtweisen und einem interessanten Austausch. „Dafür sind wir sehr dankbar“, so Bauer.