Ein Beitrag von Dr. Sebastian Kirsch, Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen zum Thema „Was sind Freiheitsentziehende Maßnahmen in der Pflege“
Dr. jur. Sebastian Kirsch ist Richter am Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen sowie Mitbegründer und seither der „juristische Kopf“ der Idee des Werdenfelser Weges.
Die Antwort auf die Frage, ob Bettgitter im stationären Alltag einer betreuungsgerichtlichen Genehmigung bedürfen oder nicht, ist gar nicht so ganz einfach. „Es kommt darauf an“, sagt der Jurist! „Ja, worauf denn?“ fragen die Anwender. Und die Anwender ihrerseits sagen: „Das ist nur zum Schutz“ und wundern sich, dass die Juristen das Argument scheinbar immer übergehen. Tun sie nicht, das spielt für die Juristen aber erst eine Rolle, wenn die Vorfrage geklärt ist, um die es hier gehen soll: Wann brauche ich eine Genehmigung des Gerichts für das Bettgitter? Es soll im Folgenden kein allgemeingültiger Katalog für die Genehmigungspflichtigkeit von Bettgittervarianten aufgestellt werden, sondern eine Verständnishilfe für die konkrete Einzelfallbeurteilung. Es wird deutlich darauf hingewiesen, dass solche Übersichten nie Einzelfallbewertungen unterlaufen dürfen.
Faustformel 1:
Die Entscheidung des mündigen (=einwilligungsfähigen) Bewohners ist immer vorrangig. Eine zusätzliche Genehmigung von dritter Seite (Betreuer/Gericht) ist nicht vorgesehen. Wenn der Bewohner die Risikosituation versteht, Vor- und Nachteile abwägen kann und dann zustimmt, dann braucht es keine Genehmigung durch Dritte, weder vom Betreuer noch von einem Bevollmächtigten noch vom Gericht. Juristisch nennt man das Einwilligungsfähigkeit: Solange er in der Lage ist, Art, Bedeutung, Tragweite und Folgen der Maßnahme zu verstehen, und fähig ist, seinen Willen frei zu bestimmen (einwilligungsfähig) und dem Bettgitter ausdrücklich zustimmt. Das gilt aber auch nur für die Dauer der Anwendung, bis er widerspricht. Er muss jeden Tag neu gefragt werden. Übrigens: Eine Einrichtung haftet nicht für den Sturz eines Patienten, wenn die einwilligungsfähige Patientin eine angebotene Hilfsleistung nicht angenommen hat (OLG Hamm, Urteil vom 2. Dezember 2014, Az. 26 U 13/14).
Faustformel 2:
Es ist keine Genehmigung erforderlich, wenn jede Form von zielgerichteter (Fort)-Bewegung bei diesem Bewohner von vornherein sicher ausgeschlossen werden kann, sei es körperlich oder weil eine Willensbildung dazu nicht möglich ist. Aber Vorsicht: Der Jurist braucht da nur sehr geringe Anhaltspunkte: Denken Sie nicht nur an Gehen oder andere klassische Fortbewegungsmöglichkeiten wie Krabbeln oder Robben. Auch das Über-die-Bettkante-Schieben ist Fortbewegung. Die Juristen sagen: Es ist nur dann keine FeM, wenn der Betroffene zu einer willensgesteuerten Aufenthaltsveränderung nicht in der Lage ist, also sich z. B. auch innerhalb des Bettes nicht an den Rand bewegen kann, wenn er will. Ganz ähnlich gelagert: Ein Bettgitter ist keine FeM, wenn der Betroffene nicht in der Lage ist, einen natürlichen Fortbewegungswillen zu bilden. Denken Sie an Komapatienten. Diese Fallgruppen sind sicher extrem eng zu verstehen. Außer Komapatienten ist sehr wenig vorstellbar, außer vielleicht ein finales dementielles Stadium in nahezu Bewegungslosigkeit.
Lesen Sie hier Teil 2 des Interviews
Laden Sie hier den kompletten Beitrag als PDF herunter: DrSebastianKirsch
Pingback: EINGITTERUNG, ALIBI-LÜCKEN ODER ECHTE AUSSTIEGS-LUKE? – TEIL 2 - pflege-today.de