Der Patient von Altenpflegerin Katharina Schmidt wimmert vor Schmerzen. Der 82-Jährige ist auf vereister Straße gestürzt und hat sich eine mehrfache Fraktur des Oberarms zugezogen. Durch langes Liegen im Krankenhaus und anschließend zu Hause, bilden sich zuerst schmerzende Druckstellen am Gesäß, die sich nach kurzer Zeit öffnen. Ein Umlagern und die richtigen Hilfsmittel bleiben unerlässlich – der Senior muss bewegt werden. Doch: Viele Hilfsmittel und Methoden zur Dekubitusprophylaxe sind veraltet.
Warum ist individuelle Therapie entscheidend?
Jeder Patient benötigt eine maßgeschneiderte Herangehensweise. Ein universelles Hilfsmittel gibt es nicht. Die Faktoren lassen sich in zwei Kategorien einteilen: Intrinsische und extrinsische Risiken. Intrinsische Risiken sind unter anderem der körperliche Zustand, Grunderkrankungen, das Alter, Über- oder Untergewicht, Mobilitätsstatus oder Mangelernährung. Extrinsische Faktoren beinhalten die Lagerung des Patienten, Katheter oder Sonden, Medikamente, Verbände oder Fixierungen und zu harte Auflageflächen. Patrick Kolb, Sprecher des Dekubitusforum im Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) aus Berlin betont in einem Online-Interview, „dass die Individualität jedes einzelnen Patienten im Fokus stehen muss“.
Wie haben sich Lagerintervalle verändert?
Früher galt ein starrer Wechsel alle zwei Stunden als Standard. Moderne Ansätze berücksichtigen individuelle Bedürfnisse. Bei ersten Anzeichen eines Dekubitus, wie anhaltende Schmerzen oder gerötete Haut an einer bestimmten Körperstelle, sollte ein Arzt hinzugezogen werden. Ein Indikator ist die Finger-Methode. Dabei drückt man mit dem Finger auf Rötungen, zum Beispiel an Knochenvorsprüngen. Bleibt die Haut rot, muss die Patientin direkt umgelagert und Wechselintervalle verkürzt werden.
Ganz modern hilft wiederum ein kontaktloses Sensor-Pad, das unter der Matratze positioniert wird. Es erfasst minimale Druckveränderungen in Echtzeit. Zeichnet so die Bewegungsdaten von Patienten oder Bewohnern auf und hilft, ein individuelles Bewegungsprofil zu erstellen.
Welche Rolle spielen Hilfsmittel?
„Eine Antidekubitus-Matratze ist eine sehr wichtige Hilfe für Menschen, die ihre Liegeposition im Bett nicht eigenständig verändern können“, weiß der Experte. Druckentlastende Matratzen, Kissen und Polster seien integraler Bestandteil der modernen Dekubitusprophylaxe. Sie stützen den Körper gleichmäßig und minimieren Druckstellen.
So wie die reaktive Auflage CliniCare 100 HF, bei der eine hochwertige Schaumstoffschicht Druckstellen entlastet. Wird ein Kompressor angeschlossen, lässt sich der Auflagedruck durch einen alternierenden Wechseldruckmodus zusätzlich entlasten.
Doch Kolb warnt davor zu glauben, dass solch eine Matratze das Umlagern ersetzen kann. Im Gegenteil: Regelmäßige Positionswechsel bleiben unverzichtbar. Wichtig ist: Der Patient und sein Gesundheitszustand sollten bei der Frage welches Hilfsmittel das passende ist, immer mit einbezogen werden. Recht häufig kommt es zu Fehlannahmen und schließlich Fehlkäufen – denn die 45 Kilogramm leichte Senioren mit Dekubitus benötigt eine andere Unterlage als ein 120 Kilogramm schwerer Patient mit einer Querschnittslähmung.
Warum sind Gummiringe und Kissen ungeeignet?
Gummiringe erhöhen die Drucklast an den Seitenrändern, was zu einem gestörten Blutfluss führen kann. Ein weiches Kissen als Auflage im Rollstuhl ist gut gemeint, doch Gelkissen oder Weichpolsterkissen sind effektiver. Der entstehende Auflagedruck wird gleichmäßig verteilt und Druck auf bestimmte Bereiche verringert. Jedoch gilt auch hier die sitzende Position zu überwachen und zeitlich zu begrenzen. Gerade bei Rollstuhlpatienten, die durch ihren Untersatz mobil sind, wird die einseitige Druckbelastung oft außer Acht gelassen und Wunden entstehen.
Wie beeinflusst Hautpflege die Dekubitusprophylaxe?
Jahrhundertelang war das Motto „Schmieren und Salben hilft allenthalben“ gängige Praxis in der Wundlagerungsprophylaxe. Doch der Expertenstandard „Dekubitusprophylaxe in der Pflege“ sieht keinen Zusammenhang zwischen Pflege und Prävention eines Druckgeschwürs. Vielmehr sei es kontraproduktiv, die Haut mit Zink oder Melkfett einzureiben. Denn dadurch bleiben Wunden dauerhaft feucht und heilen schlecht. Feuchtigkeit durch Cremes, Schwitzen oder Inkontinenz macht die Haut sogar anfälliger für Dekubitus. Konsequentes Reinigen, Pflege und Trocknen der Haut sind daher essenziell. Besser ist es, wenn Fachkräfte Hautschutzmittel, besonders Wasser-Öl-Emulsionen, nutzen. Denn die stärken den natürlichen Schutzfilm der Haut.
Wie wirkt sich Essen auf das Heilen von Wunden aus?
Ein adäquater Speiseplan unterstützt maßgeblich den Heilverlauf. Es ist wichtig, dass Frühstück, Mittagessen und Abendbrot ausreichend Proteine, Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente enthalten. Wichtig ist für Patientinnen zudem, dass sie viel trinken. Experten raten zu mindestens 1,5 bis zwei Liter Flüssigkeit pro Tag. Dennoch ist es wichtig zu unterscheiden, dass eine Fehl- nicht dasselbe ist wie eine Mangelernährung. Selbst bei einem guten BMI und einem „gesunden Aussehen“ kann ein Bewohner fehlernährt sein. Statistisch gesehen ist das Risiko für Fehlernährung bei älteren Männern höher als bei älteren Frauen. Wer gesundes Essen ausklammert, riskiert, dass die Dekubitus-Therapie scheitert.
Welche alten Methoden unterlassen?
Ratschläge wie die Massage mit Franzbranntwein sind für die Dekubitusprophylaxe untauglich. Der Expertenstandard rät von Pflege mit Alkohol ab. Die spröde Haut trocknet dadurch noch weiter aus. Auch teure Hydrokolloid-Pflaster, die bei nässenden Wunden gern benutzt werden, haben keinen Mehrwert bei Dekubitus oder anderen Wunden.
Fazit: Prophylaxe bei Dekubitus ist ein komplexes Thema, das immer eine individuelle, auf den Patienten abgestimmte Herangehensweise erfordert. Alltagsroutinen müssen immer wieder überprüft und angepasst werden.