Musik und leises Lachen dringen aus dem Saal des Seniorenheims. Rentner und Rentnerinnen gleiten über das Tanzparkett. Andere stehen im Kreis und schwingen wechselweise Hüfte und Arme. Die Stimmung ist gut. „Tanzen macht Freude“, sagt Gerd Mittag. Der ehemalige Profitänzer und langjährige Tanzpädagoge liefert handfeste Gründe, warum Tanzen bei Demenz und Parkinson hilft.

Fakt ist: Beim Älterwerden lässt die körperliche und geistige Fitness nach, auch Persönlichkeit und soziale Kontakte verändern sich. Freunde und Familie erkranken oder sterben, das soziale Netz schrumpft. „Diese Veränderungen können beängstigend sein“, erklärt Mittag, aktueller Doktorand in Sportwissenschaft, Fachbereich Pädagogik. Daneben sind Krankheiten wie Demenz und Parkinson zusätzliche Herausforderungen im Alter. Rund 1,6 Millionen Menschen in Deutschland leben mit Demenz, jedes Jahr kommen etwa 300.000 neue Fälle hinzu. Die Zahl der Betroffenen verdoppelt sich alle 20 Jahre. Bis 2030 sollen etwa 75 Millionen Menschen weltweit betroffen sein[1, 2].

Mehr Lebensqualität durch Tanzen im Alter

Gerd Mittag

„Doch es gibt Hoffnung“, sagt Mittag und empfiehlt Tanzen als Methode, um das Älterwerden positiv zu gestalten. Dass es dafür nicht immer einen Profitanzlehrer bedarf, darauf verweist der Fachmann aus München gleich zu Beginn des Gesprächs: „Es gibt kostenlose DVDs, speziell für Seniorenzentren, auf denen Tanzschritte erklärt und pädagogisch-didaktische Tipps gegeben werden.“

Denn Tanzen hält nicht nur fit, sondern fördert auch geistige und soziale Fähigkeiten. Der 55-jährige Tanzmediziner weiß: „Beim Tanzen schüttet der Körper Glückshormone wie Serotonin und Dopamin aus – man fühlt sich einfach besser.“ Außerdem kann Tanzen Konzentration, Koordination und Mobilität positiv beeinflussen, was gerade im Hinblick auf die Lebensqualität von älteren Menschen wichtig ist. Denn Lebensqualität umfasst mehr als materiellen Wohlstand; sie beinhaltet die Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse wie Neugier und Wissensdrang. „Lebenslanges Lernen, wie es durchs Tanzen gefördert wird, spielt dabei eine zentrale Rolle“, so Mittag.

Hinzu kommt: Regelmäßiges Tanzen verlangsamt den Verlust von Muskelmasse und Bewegungsqualität. Das ist vor allem im Alter relevant, wenn es darum geht, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erhalten.

Soziale Aspekte und Lebensfreude

Tanzen in der Gemeinschaft fördert zudem das soziale Gefüge und die Autonomie[3, 4]. Die Wahrnehmung des Raumes wird geschult: Wer tanzt mit mir, wie viele sind um mich herum? Bei rhythmischen Bewegungen etwa tanzen Senioren frei im Raum, ein gegenseitiges Berühren oder Antanzen ist erwünscht – dies stärkt das Gefühl des sozialen Kontaktes und schult parallel die Koordination.

Der klassische Sitztanz hingegen sollte möglichst vermieden bzw. nur für wirklich bewegungseingeschränkte Senioren verwendet werden, wie etwa Personen im Rollstuhl. „Wir müssen den Leuten zumuten, etwas zu tun“, rät Mittag. Das Schlimmste sei es, allen vermeintlich Alten ihre Mobilität abzuerkennen. So komme es bei heutigen Senioren zu einem großen Gefälle in der Beweglichkeit. „Es gibt viele, die ihr Leben lang Sport gemacht haben und sehr mobil sind. Und es gibt einige, die fast ihr ganzes Leben nur saßen und sich mit Bewegung sehr schwertun.“

Es brauche also Mut und die Bereitschaft, auch ein bisschen an die körperlichen Grenzen zu gehen. Der Pädagoge rät Tanzenden zwar, den eigenen Puls im Blick zu haben, animiert jedoch gleichzeitig so manchen, ein Lied weiter zu tanzen.

Tanzen als Gesundheitsprävention

Wie erwähnt, kann Bewegen zu Musik erheblich zur Sturzprophylaxe beitragen. Muskeln werden gestärkt, neue koordinative Abläufe neuronal verknüpft. Es stimuliert eine Region im Gehirn, die für multisensorische Erlebnisse verantwortlich ist und somit Koordination, Denkprozesse und Bewegungen vernetzt. Die WHO empfiehlt seit Jahren Erwachsenen ab 65 Jahren wöchentlich mindestens 150 Minuten mäßig intensive körperliche Betätigung oder 75 Minuten intensive körperliche Betätigung[5].

Eine aerobe Aktivität, also ein Ausdauersport, sollte in Abschnitten von mindestens zehn Minuten Dauer durchgeführt werden. Dadurch sinken Blutdruck und Puls, das Herz gewinnt an Kraft. Mittag weiß: „Die Leute müssen mobil gehalten werden. Tanzen ist ein ganzheitliches Mittel dazu und macht auch noch Spaß!“

1    Bickel H. Infoblatt 1. Die Häufigkeit von Demenzerkrankungen 2020: 1–10
2    Fink H, Rosenzweig R. Was hält uns jung? Neuronale Perspektiven für den Umgang mit Neuem. Nürnberg: Kortizes, 2020
3    Steinberg C, Rudi H. Tanzpädagogik und Tanzvermittlung. In: Obermaier M, Steinberg C, Molzberger R et al. (Hrsg). Tanzpädagogik – Tanzvermittlung. Stuttgart, Deutschland: utb GmbH, 2024: 103–120
4    Müller P. Untersuchungen zum Einfluss von sportinduzierter Neuroplastizität bei kognitiv gesunden Senioren im Kontext der Demenzprävention. Dissertation, 2018
5    World Health Organization. Global Recommendations on Physical Activity for Health 2010

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