Nach einem prägenden Ereignis entschied sich Markus Höfler dafür, totkranken Menschen dabei zu helfen, schmerzfrei sterben zu dürfen. Als Leiter des Hospiz Alzenau ist es ihm ein Anliegen, seine Patienten aufzuklären, Ängste zu nehmen und ihnen mit Kleinigkeiten Freude zu bereiten. Denn wie schnell sich das Blatt wenden kann, hat er selbst am eigenen Leib miterlebt.

Herr Höfler, der Umgang mit dem Tod kann herausfordernd sein, wieso haben Sie sich für die Arbeit im Hospiz entschieden?

Markus Höfler: Ich habe zwölf Jahre als Intensivpfleger und zwei Jahre in der Anästhesie gearbeitet. Einmal wurde eine sehr alte Frau eingeliefert. Sie hatte einen Verschluss einer Baucharterie. Im Aufklärungsgespräch sagte der Operateur: „Wir machen das auf, holen das kranke Stück Darm heraus, und dann ist alles gut. Wenn Sie das nicht machen, sterben Sie.“ Also wurde operiert. Die Ärzte schnitten den Bauch der Frau auf und sahen, dass alles infiltriert war. Sie nähten sie ohne Eingriff wieder zu. Fertig. Dann lag die Frau noch fünf Stunden auf der Intensivstation und starb an Maschinen angeschlossen. Für mich war das der pure Zynismus. Für sie und ihre Familie wäre es besser gewesen, sie hätte, mit Morphin versorgt in einem Einzelzimmer liegend, von ihren Lieben in Würde Abschied nehmen können. Nach dieser hässlichen Erfahrung war ich zutiefst frustriert. Es war einfach unwürdig. In mir tauchten Fragen auf, was diese Arbeit bringt, ob sie überhaupt menschenwürdig ist. Und ob es nicht besser wäre, wenn alte und totkranke Menschen schmerzfrei sterben dürfen. In dieser Zeit wurde auch mein Sohn geboren, mit dem ich Zeit verbringen wollte, und mir wurde die stellvertretende Leitung des Hospizes in Alzenau angeboten, das näher an meinem Wohnort liegt. Also griff ich zu.

An welche Situation im Hospiz erinnern Sie sich gerne, welcher Augenblick hat Sie besonders berührt oder sogar erfreut?

Markus Höfler, Leiter Hospiz Alzenau
Markus Höfler, Leiter Hospiz Alzenau

Markus Höfler: Es gibt eine Situation, die ich bei Vorträgen in Schulen erzähle. Im Hospiz wohnte ein 90-Jähriger, der an Bauchspeicheldrüsenkrebs litt. Im Endstadium bedeutet das Übelkeit und Erbrechen. Ich wusste aus seiner Biografie, dass der Mann gerne Bier zum Abendessen trank. Also bot ich ihm eines Abends einen Schluck Bier an. Er trank ihn und nach zwei Minuten erbrach er. Ich wusste, dass dies geschehen würde. Seine Worte waren: „Ach, war das gut!“. Es sind die Kleinigkeiten, die in der palliativen Pflege wichtig sind – und nicht das große Programm.
Auch wird etwa Patienten die an Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) leiden, immer wieder erzählt, sie würden ersticken. Das ist aber im Sinne von „um Atem ringen“ falsch. Richtig ist, dass ALS-Patienten zunehmend müde werden und einschlafen, weil bei der Atmung die Abgabe von Kohlendioxid nicht mehr funktioniert. Über solche Prozesse sprechen wir mit unseren Gästen und Angehörigen. Diese Aufklärung ist sehr wichtig, weil sie die Angst nimmt.

Wer viel mit dem Sterben zu tun hat, denkt auch über seinen eigenen Abschied nach. Wie sieht Ihre persönliche Vorsorge aus, wie wollen Sie von dieser Welt gehen?

Markus Höfler: Ich hatte selbst vor ein paar Jahren eine Krebsdiagnose und mir in dieser Zeit viele Gedanken gemacht. Zuerst kam die Frage nach dem „Warum ich?“. Anschließend geht es weiter und man regelt Dinge. Ich rief einen Familienrat ein und bat bestimmte Personen in meinem Sinne Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen, wenn ich ausfalle. Und wie schnell das gehen kann, sehe ich täglich beziehungsweise habe ich dies im Verlauf meiner Erkrankung ebenso zweimal persönlich erlebt. Da wird man schnell vom Fachmann zum Laien, weil der Kopf anders arbeitet. Meine Patientenverfügung und meine Vorsorgevollmacht hatte ich übrigens davor schon ausgefüllt.

Können Sie sich an ein Gespräch erinnern, in dem Sie die professionelle Distanz nicht mehr wahren wollten, sie bewusst oder unbewusst aufgegeben haben – und was hat das mit Ihnen gemacht?

Markus Höfler: Das ist mir zum Glück noch nie passiert. Ich reflektiere mich gut und habe gelernt, mich zurückzuziehen, wenn mir etwas zu nahegeht. „Ich kann nicht mehr“ zu sagen, sehe ich als Stärke und nicht als Schwäche. Dabei achte ich auch bei meinen Kollegen und rege an, öfter mal den Gast zu wechseln und nicht zu lange zu betreuen. Das im Hospiz Erlebte arbeite ich zu Hause mit meiner Frau auf oder mit den Kollegen. Sehr nahe geht es mir, wenn Eltern von Kindern unsere Gäste sind oder auch Gleichaltrige. Da bin ich sehr ehrlich zu mir.

Stellen Sie sich vor, Sie sind 90 Jahre alt und Ihre Lebenszeit geht bald zu Ende. Wenn Sie Ihrem jugendlichen Alter Ego gegenüberstünden, was würden Sie Ihrem zweiten Selbst sagen wollen?

Markus Höfler: Abgedroschen, aber wahr: Lebe jeden Tag! Statussymbole waren mir noch nie wichtig. Familie, Freizeit und Urlaub haben jedoch nach meiner Erkrankung nochmal an Stellenwert gewonnen. Bereut habe ich, als Jugendlicher keine Europareise gemacht zu haben. Meine Eltern hielten mich damals davon ab. Das zu tun, würde ich dem jungen Markus ans Herz legen wollen. Heute gehe ich mit meinem Sohn schwimmen oder auf Entdeckerreise, wie zum Beispiel in das Experiminta. Diese wertvolle Zeit miteinander zu verbringen, macht mich glücklich.

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